Heimchen, Herd und Charles Dickens

Alltagsproblemchen aus denen wir lernen können.

Das sogenannte ``Heimchen am Herd`` ©iStock

Herbstspaziergang durch die Stadt. Ein Paar streitet sich heftig auf offener Straße. Gefühlt sind sie meilenweit zu hören. Ich drehe mich um und gucke, ob jemand guckt. Sie schreit rum, er habe nie Zeit für sie. Er beschwert sich, es sei ja auch nicht einfach, sie zu begeistern. Da würde er lieber etwas mit seinen Freunden unternehmen. Sie sagt (naja, eigentlich kreischt sie eher), sie würde gern mal wieder etwas Schönes mit ihm kochen und ein Glas Wein mit ihm trinken. Bier zu Not auch. Mit ihm reden. Kuscheln und so. Daraufhin bezeichnet er sie als Heimchen am Herd. Fünfundzwanzig sei sie, nicht achtzig. Aha. Sie brüllt jedenfalls etwas Unschönes zurück und eilt voraus. Das Gespräch ist beendet.

Das „Heimchen am Herd“ hallt noch eine Weile in mir nach. Neuer Stoff für mein Sprachwissenschaftlerinnengehirn. Ist eine Frau jetzt gleich ein Heimchen, wenn sie gern kocht oder was? Und was ist überhaupt ein "Heimchen"? Zu Hause blättere im Bedeutungswörterbuch und staune: Es handelt sich um eine Verniedlichungsform von „der Heime“. Der. Ha! Männlich. Licht ins Dunkel: Der Heime ist eine männliche Grille. Na, ist das zu fassen? Wenn das der junge Mann von vorhin wüsste ... !

Die Verniedlichung „Heimchen“ wurde bei uns vor allem durch die deutsche Übersetzung einer bekannten Erzählung von Charles Dickens bekannt: "Cricket on the Hearth". Die Grille am Herd. Die Geschichte endet mit dem Satz: „Ein Heimchen singt am Herde, ein zerbrochenes Kinderspielzeug liegt am Boden, und nichts ist mehr übriggeblieben.“

Einige Tage später sehe ich das Pärchen übrigens wieder. Hand in Hand. Er lächelt sie an. Sie lächelt friedlich zurück. Haben sie sich wohl wieder zusammengerauft. Abends beim Glas Wein am heimischen Herd oder so. Haben sie wohl doch noch einiges übrig – füreinander.

geschrieben am 14.11.2015
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